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Das Heilige Tal der Inka – Heil- und Färbepflanzen

Niemand weiß, woher die Inka genau kamen. Sicher ist, dass sich die Kultur im 12. Jahrhundert entwickelte und auf Alpaka-Bauern aus den Südanden zurückgeht. Sie herrschten in einem absolutistischen Staat, an dessen Spitze ein König (Inca) stand. Bis heute sprechen Teile der indigenen Bevölkerung Perus ihre Amtssprache: Quechua. [1]

Die Ankunft der Spanier im Jahr 1532 bedeutete das Ende des riesigen Imperiums der Inka, das von Kolumbien bis Chile reichte. Obwohl ihre Herrschaft nur 400 Jahre dauerte, schufen sie monumentale Steinbauten, die bis heute überdauern. Während unserer ethnobotanischen Reise durch das Heilige Tal der Inka in den peruansichen Anden, treffen wir überall auf Elemente ihrer Kultur. Dieser Blog-Beitrag beschreibt den zweiten Teil unseres Aufenthalts und stellt einige Heil- und Färbepflanzen vor. Nahrungspflanzen standen im Mittelpunkt des ersten Berichts.

Heilpflanzen

Chakana, das dreistufige Inka-Kreuz, ist ein Symbol, dem wir immer wieder begegnen: an den Wänden archäologischer Stätten in Stein gemeißelt, als Kettenanhänger, als Traumfänger wie im Bild oben. Es versinnbildlicht die Weltanschauung der Inka. Die vier Richtungen des Kreuzes stehen für die vier Himmelsrichtungen Norden, Osten, Süden, Westen. Das Loch symbolisiert die Stadt Cusco – wortwörtlich Nabel der Welt für die Inka (auch Cuzco oder Qosq’o auf Quechua). Die drei Stufen stehen für die Welt der Götter, Hanan Pacha, die Welt der Menschen, Kay Pacha, die Unterwelt, Ukhu Pacha. Jede dieser Welten wird durch ein bestimmtes Tier repräsentiert: Kondor, Puma, Schlange. Auch diese Wahrzeichen sind allgegenwärtig in den Mustern von Textilien, Wandgemälden, Bepflanzungen, Statuen.

Kondor-Textil
Kondor, Pumamarka
Puma-Wandmalerei
Puma, Cusco
Schlange, Cusco

Erinnerst du dich an die fast vergessene Inka-Ruine Pumamarka, die wir während unseres Pflanzenspaziergangs besuchen? Von den Gebäuden ist fast nichts übrig außer ein paar steinerne Mauern. Heute grasen hier Alpakas und Lamas. Kokablätter gibt es zwar in jedem Hotel schon als Tee beim Frühstück gegen die Höhenkrankheit vieler Touristen. Aber an diesem Ort beschäftigen wir uns zum ersten Mal intensiv mit der Pflanze coca. Wither, unser einheimscher Guide, leitet eine einfache Koka-Zeremonie an, damit unsere Reise unter einem guten Stern steht.

Wir lernen, dass die indigene Bevölkerung der Quechua im Umgang mit Koka bestimmte Gepflogenheiten einhält, eine richtige Etikette. Koka ist eine heilige Pflanze. Wither hält uns dazu an, drei der schönsten Blätter aus einer Menge auszusuchen, die er auf einem Tuch ausgebreitet hat. Die Ränder sollen unversehrt sein, Knicke streichen wir mit den Fingern glatt. In Anlehnung an die eingangs beschriebenen drei Welten der Inka, legen wir drei Blätter mit den Stielen nach unten fächerartig übereinander, das kleinste obenauf. So entsteht ein kintu.

Man schwenkt ihn leicht vor dem Gesicht und bläst darauf, bevor man ihn in den Mund steckt. Mit diesem Lebenshauch widmet der Kokakauer seinen kintu den Göttern, insbesondere den zwei bedeutendsten der Anden: Mutter Erde, Pachamama, und den Berggöttern, Apu. Die Inka und ihre Nachfahren, die Quechua, glauben, dass in allem ein göttlicher Funke und Leben steckt, so ist die Sonne, Inti, der Sonnengott und der Mond, Killa, der Mondgott.

Koka wird nicht nur in Ritualen gekaut (es ist mehr ein im Mund zwischen Wange und Gaumen Behalten als aktives Kauen), sondern ist ein ständiger Begleiter im andinischen Alltag. Wir hören immer wieder: Nur dank Koka konnten die Bauern und Bürger im strengen Kastensystem der Inka die riesigen Bauten der Adligen schaffen. Die Pflanze hilft nicht nur gegen Höhenkrankheit, sondern unterdrückt auch Hunger und Erschöpfung. Damals hat man versucht, Kokasorten zu züchten, die sich nicht nur im Dschungel wohlfühlen, wo sie eigentlich wachsen, sondern auch im Hochland. Ein einziges Exemplar sehen wir auf unserer Reise. Es kümmert in Machu Picchu vor sich hin.

Quechua vermischen Koka in ihrem Mund häufig mit einem Stückchen Asche, llipta, um Alkaloide aus den Blättern zu lösen. Verschiedene Pflanzen sind in der schwarzen Paste enthalten, z.B. chilca (Baccharis latifolia, Asteraceae). Es gilt als extrem unhöflich, nach dem Kokakauen die Überreste einfach auszuspucken. So nehmen auch wir am Ende der Koka-Zeremonie das Bündel aus dem Mund und geben es Pachamama zurück, stecken es in eine Mauerritze der Ruine Pumamarka oder legen es unter die Blätter einer Pflanze.

Alpaca-Pumamarca
Alpaka, Pumamarka
Coca-Zeremonie
Kokablätter (Erythroxylum coca, Erythroxylaceae), Pumamarka

„Coca Mama ist Medizin“, sagt Juan Gabriel Apaza Lonasco. Er ist paqo, Medizinmann, Priester, spiritueller Anführer der Quechua sprechenden Q’ero-Nation, kein Schamane. Wir sitzen im Kreis auf dem Boden eines modernen Yoga Studios des Nidra Wasi Retreat Center in der Nähe von Pisac. Seine amerikanische Schwiegertochter, Carolina Putnam, übersetzt. Sie erzählt uns die faszinierende Geschichte der Q’ero, eines Volkes, das erst in den 1950ern seine Dörfer in den höchsten Gipfeln der Anden verließ, um sich den Menschen in den Tälern bekannt zu machen. Unter dem Namen Reviveolution haben Carolina und ihr Team sich zum Ziel gesetzt, eine Brücke zwischen indigenem Wissen der Q’ero und der modernen Welt zu schlagen – für eine nachhaltige Zukunft.

Es ist eine Ehre, dass Juan Gabriel mit uns eine andinische Despacho-Zeremonie feiert. Innerhalb der Gruppe tauschen wir kintu aus: Wer sich berufen fühlt, bereitet einen Fächer aus Kokablättern und bietet ihn einem anderen an. Es ist ein Geben und Nehmen. Carolina gibt dem Geschehen einen Namen:  Ayni, Reziprozität, das Ethos der Anden. Man hilft sich gegenseitig und weiß, dass der Empfänger einer Gabe eines Tages seine „Schuld“ begleichen wird. Unsere Wangen füllen sich, so viel Koka habe ich noch nie auf einmal gekaut! Ich fühle mich keineswegs berauscht, sondern zutiefst verbunden mit den Menschen um mich, mit der Landschaft, die uns umgibt.

Endlich ist es so weit: Der paqo schnürt aus einem Blatt Papier und sorgfältig darauf geschichteten Kokablättern, Blüten, Reis, Mais, Süßigkeiten, Geldscheinen aus Papier, Glitzer und vielen weiteren symbolischen Gaben ein Geschenk an Pachamama. Zuletzt verbrennen wir das Päckchen in einem Feuer in der Hoffnung, dass sich unsere Gebete erfüllen. Juan Gabriels abschließender Wunsch für uns: „Ich hoffe, dass ihr noch viele Lehrer finden werdet!“

Weitere Heilpflanzen begegnen uns auf unserer Reise, doch keine hinterlässt einen so nachhaltigen Eindruck wie coca. Manchmal treffen wir ganz unerwartet auf sie. Ein wunderschönes Café in Pisac bietet verschiedene Sorten Tee auf seiner Speisekarte an. Mate de muña kennen wir schon aus unserem Hotel in Ollantaytambo. Die Anden-Minze hat ein unvergleichliches Aroma und soll auch gegen die Höhenkrankheit wirken. Mate de airampo, Tee aus den Samen des Feigenkaktus, überrascht Wither jedoch. Er nutzt den leuchtend roten Tee bei Fieber und Erkältungen.

Airampo-Muna-Tee
Mate de Airampo (vorne, Opuntia spec., Cactaceae) und Muña (Mintostachys setosa, Lamiaceae) im El Encanto, Pisac
Kraueterauszuege
Tinkturen der Kräuterapotheke Tawa Apu Kuntur, Pisac

Die Anden-Minze schmeckt uns so gut, dass wir uns in der Kräuterapotheke Tawa Apu Kuntur in Pisac damit eindecken. Dort werden alle möglichen Kräuterprodukte angeboten, u.a. auch Sangre de Grado, Drachenblut, ein unglaublich wirksames Mittel gegen Parasiten und Magen-Darm-Erkrankungen. Ausgangsstoff ist der rote Milchsaft des Baums targua (Croton draco, Croton lechleri, Euphorbiaceae). Frische Kräuter werden häufig auf Märkten angeboten. Meist gibt es ein oder zwei Kräuterfrauen, die inmitten der riesigen Säcke an Grundnahrungsmitteln und den Bergen an Gemüse und Obst beinahe untergehen. 

Cusco-San-Pedro-Markt
Mercado Central de San Pedro, Cusco
San-Pedro-Markt

Die riesigen Hallen des Mercado Central de San Pedro in Cusco mit seinem Gewusel aus Menschen und Waren ist uns nach den beschaulichen Dörfern des Valle Sagrado fast schon zu intensiv. In dieser Stadt, Tor zum Heiligen Tal, verbringen wir die letzten Tage unserer Reise. Es ist eine Woche vor Ostern. Unzählige Stände säumen die Straßen rings um die Markthallen und verkaufen Ostergebäck. Katholischer und traditioneller Glaube – beides wir in den Anden gelebt, seitdem die Spanier das Christentum mitbrachten.

Ostergebaeck
Mercado Central de San Pedro, Cusco
Cusco
Basilica Menor de la Merced, Cusco

An Palmsonntag finden den ganzen Tag Prozessionen statt. Rund um die Kathedrale werden Palmzweige verkauft, die kunstvoll Maiskolben nachempfinden, eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel der Gegend. Das kunsthandwerkliche Geschick der Peruaner bewundern wir immer wieder, besonders springt es natürlich anhand ihrer Textilien ins Auge.

Palmwedel
Palmsonntag, Cusco

Färbepflanzen

An allen Orten, die wir besuchen, bietet sich an den noch so abgelegenen Ecken die Möglichkeit, zumindest ein paar Armbänder zu erwerben. Pisac hat einen besonders bekannten Markt für Textilien. Die Steigerung ist das Weberdorf Chinchero, unweit von Cusco. In etlichen Innenhöfen bieten die Bewohner Decken, Ponchos, Schals, Bänder, Taschen und Gürtel aller Art an. Häufig hat man das Glück, dass Frauen gleichzeitig demonstrieren, wie sie Wolle spinnen und verweben und welche Pflanzen sie für das Färben verwenden. Nicht immer können wir das getrocknete Material identifizieren.

Wolle-Faerbepflanzen
Wolle und Färbepflanzen, Chinchero
Wolle-Spindel
Wolle, Spindel, Färbematerial, Qolqanpata Inka Park, Cusco

In den Anden wird seit Tausenden von Jahren Wolle mit der Handspindel gesponnen. Erst mit den Spaniern kamen Schafe nach Peru, seitdem wird hauptsächlich ihre Wolle verwendet, neben der von Alpakas und Lamas. Das Spinnen lernen Kinder schon im Alter von 6 oder 7 Jahren, während sie die Schaf- oder Alpakaherden der Familie hüten. Ihre Eltern erwarten, dass sie mit 10 Jahren Garn produzieren, dass sich verweben lässt. Mit dem Aufkommen intensiv leuchtender synthetisch-chemischer Farbstoffe gerieten natürliche Färbemittel fast 100 Jahre lang in Vergessenheit. Erst in den letzten Jahrzehnten greift man wieder darauf zurück. [2]

Textilien-Pisac
Mercado de Artesanía, Pisac
Textilien-Ollantaytambo
Ollantaytambo, Peru

Auf den Blättern des Feigenkaktus züchten die Peruaner beispielsweise Cochenille-Schildläuse. Aus den Weibchen lässt sich der Farbstoff Karmin gewinnen. Bevor wir ihn davon abhalten können, zerreibt einer unserer Mitreisenden eine der Läuse, um uns die Farbe zu zeigen. Die Blätter der Nationalblume Perus, cantu, (ein Foto befindet sich im ersten Teil dieses Reiseberichts) werden für gelbe Farbtöne verwendet. Gelb färben auch die Blätter von molle (Schinus molle, Anacardiaceae), bei uns als rosa Pfeffer bekannt. Ein schwarzer Farbstoff lässt sich aus Blättern und Früchten der andinischen Walnuss gewinnen, nogal (Juglans neotropica, Juglandaceae). [2]

Cochenille-Opuntie
Cochenille-Laus auf Feigenkaktus (Opuntia spec., Cactaceae)
Cochenille-Opuntie-rot

Gewebt wird mit einem Gurt hinter dem Rücken, um Spannung auf das entstehende Textil zu bringen, während das andere Ende an einem Pflock befestigt ist. Die Technik stammt aus Zeiten, lange bevor die Inka lebten. Jede Gemeinde kennt eigene Muster, die junge Mädchen nach und nach erlernen. In den ersten Webversuchen entstehen schmale, perlenbesetzte Bänder, watanas, erst später versucht man sich an Gürteln, chumpis. Das Webgerät limitiert die Breite des Webstücks. Infolgedessen müssen die Ponchos der Männer und die traditionellen Umhänge der Frauen, mantas, aus zwei Bahnen Stoff zusammengenäht werden. [2, 3]

Ihre Textilien zu verkaufen, ist eine Möglichkeit für Frauen den Lebensunterhalt für ihre Familien zu sichern, insbesondere wenn sie in Webergemeinschaften organisiert sind und ihre qualitativ hochwertigen Produkte gemeinsam vermarkten. Verschiedene Initiativen unterstützen sie dabei, z.B. das Centro de Textiles Tradicionales del Cusco. Die Einrichtung ist gleichzeitig Museum, Verkaufs- und Forschungsstätte und hat sich zum Ziel gesetzt, traditionelle Textilien und Techniken der Anden zu erhalten.

Vor Ort ist mein absolutes Lieblingsfoto unserer Reise entstanden. Plants and Healers International priesen sie als a journey of a lifetime an. Wir folgten einer Eingebung, nahmen teil und können bestätigen: Es war wirklich ein einmaliges Erlebnis!

Weberin
Centro de Textiles Tradicionales del Cusco

Fotos: Reinhard Hecht

Literatur

[1] McCarthy, C., Benchwick, G., Egerton, A., Tang, P., Waterson, L.: Lonely Planet Peru. MairDumont, Ostfildern 2016.
[2] Callañaupa Alvarez, N. Weaving in the Peruvian Highlands: Dreaming Patterns, Weaving Memories. Thrums Books, Loveland 2007.
[3] Callañaupa Alvarez, N. Secrets of Spinning, Weaving and Knitting in the Peruvian Highlands. Thrums Books, Loveland 2017.